Das Shared Desk-Konzept – Die Neutralisierung des Arbeitsplatzes

Wer keinen festen Arbeitsplatz hat, sondern sich jeden Tag wieder einen neuen Schreibtisch im Büro suchen muss, soll im Kopf flexibler bleiben, produktiver und kommunikativer sein. Und natürlich sollen Kosten gespart und die Effektivität der Arbeitsabläufe gesteigert werden.

Das ist die Theorie des Shared Desk-Konzeptes. Einem – ich nenne es mal „Trend“, der längst die per se innovativen Start-Ups verlassen hat und von traditionellen Großunternehmen genauso eingeführt wird, wie im Bankhaus einer Kleinstadt. In der Praxis scheitert das Konzept aber allzu häufig an einem ganz einfachen Faktor: Dem Mensch.

Es gibt sicherlich Vorteile eines offenen Raumkonzeptes, wie ein lockereres Miteinander mit flachen Hierarchien. Und Möglichkeiten, sich – je nach aktuellem Bedürfnis – in unterschiedlichen Raumbereichen zu bewegen, wie Loungeecken, kleine Besprechungsnischen und Gemeinschaftsräume. Und natürlich spart es Kosten und Raumressourcen, wenn ein Teil der Mitarbeitenden auch nach Corona örtlich unabhängig arbeitet. Nicht für jeden muss in einer solchen Konstellation dauerhaft ein Schreibtisch freigehalten werden.

Jetzt kommt das Aber. Das Shared Desk-Konzept wurde verbreitet auch dort eingeführt, wo die Mitarbeitenden jeden Tag ins Büro kommen müssen und nicht ortsunabhängig arbeiten können. In Systemen, die jahrelang gut funktioniert haben und wo nur die Unternehmensspitze entschied, dass es Zeit für eine Innovation ist. Aber der Mensch ist nicht auf dem Reißbrett planbar und er lässt sich nicht standardisieren. Nicht selten fühlen sich Mitarbeitende, die jahrelang ihren festen Schreibtisch hatten, gestresst von der all morgendlichen Reise nach Jerusalem, die das Desksharing mit sich bringt. Nicht zu wissen, wo man heute einen Platz findet, verunsichert die allermeisten Menschen. Und so scheint es eher auszubremsen, wenn man sich täglich wieder auf ein neues Umfeld einstellen muss. Weit entfernt also vom eigentlichen Ziel der Produktivitäts- und Zufriedenheitssteigerung.

Es sagt einem der gesunde Menschenverstand: Jeden Tag wieder all das einzupacken, was eine individuelle Persönlichkeit aus- und das Arbeitsumfeld vertraut macht, ist jeden Tag ein erneutes Abschiednehmen: Fotos der Familie, eine Urlaubserinnerung, eine Pflanze, die eigenen Stifte, das Allergiespray in der Schublade und vielleicht noch eine kleine Schachtel Pralinen für die Kaffeepause und ein selbstgemaltes Bild der Kinder – all das gibt Sicherheit und Geborgenheit, die der Mensch von seiner Grundstruktur her braucht (zumindest die allermeisten). Wem dies ohne Zustimmung genommen wird, der wird fehlende Wertschätzung spüren: Ich bin es meiner Arbeitgeberin/meines Arbeitgebers nicht wert, dass ich „Raum einnehmen“ darf. Dass ich ein Stück meiner Persönlichkeit im Unternehmen lasse, sichtbar werde. Ich werde jeden Tag wieder neutralisiert und nur zu einem kleinen Rädchen, der funktionieren und die Maschinerie am Laufen halten soll.

Neben dem unpersönlichen Arbeitsumfeld ist auch die Arbeitsorganisation des Shared-Desk-Prinzips nicht für jede und jeden passend: Manche blühen auf, wenn sie mit mehreren im Büro sitzen und entfalten erst in Gemeinschaft ihr Potenzial. Sie lieben die Interaktion und die Lebendigkeit. Andere aber brauchen genau das Gegenteil und können nur in Ruhe und Rückzug und ohne Ablenkung großartig arbeiten.

Natürlich wirken solche Konzepte nach außen immer innovativ und visionär. Da reiht sich das Shared Desk-Konzept ein in andere Trends, wie New Work oder Design Thinking. Aber schicke Designmöbel und die Tischtennisplatte sind lediglich ein Make-Up, unter dem nicht zu sehen ist, ob darunter die Idee auch gelebt und geliebt wird. Wurde hier ein wohlklingendes Konzept übergestülpt, oder wurde es gemeinsam mit den Mitarbeitenden entwickelt und wird es von allen getragen?

Das macht den Unterschied aus, ob solche Konzepte funktionieren oder scheitern. Denn nur wer diejenigen mit einbindet, die diese Konzepte anschließend nutzen und die Unterschiedlichkeit von Menschen berücksichtigt, hat gute Karten, dass es gelingt. Das Einbinden fordert mehr, als Fragebögen auszufüllen. Es heißt, miteinander in den Dialog zu gehen. Zuzuhören und Respekt zu haben vor dem, was Mitarbeitende zu sagen haben. Das geht nur, wenn eine Unternehmensleitung ergebnisoffen an einen solchen Prozess herangeht und die Stärke hat, das Ruder wieder umzureißen, wenn es nicht funktioniert.

Wer als ArbeitgeberIn das volle Potenzial seiner Mitarbeitenden ausschöpfen möchte und Interesse an deren Wohlbefinden hat, der sollte die Individualität und die menschlichen Bedürfnisse an vorderste Stelle der Büroplanungen stellen und die Räume so gestalten, dass sich jede und jeder gesehen fühlt und wiederfindet.

Autorin: Maike Kristina Harich

Nachfolgend eine kleine Auswahl an Links zu Artikeln, die sich einigermaßen objektiv mit dem Pro und Contra des Shared Desk-Konzeptes beschäftigen:

Hans-Böckler-Stiftung, ab Seite 62: https://www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_158.pdf

Der Spiegel: https://www.spiegel.de/karriere/new-work-im-praxis-test-diese-firmen-setzen-auf-desk-sharing-a-b161463e-d89d-4bcb-bcfe-eeb3ba0e57a8)

Manager Magazin: https://www.manager-magazin.de/digitales/it/new-work-wollen-wir-wirklich-alles-teilen-desk-sharing-unter-der-lupe-podcast-a-1298489.html

Handelszeitung (Schweiz): https://www.handelszeitung.ch/management/der-desk-sharing-trend-geht-nach-hinten-los-1404954

The Shared Desk Concept – Neutralising the Workplace

Those who do not have a fixed workplace, but have to look for a new desk in the office every day, should remain more flexible in their minds, be more productive and more communicative. And, of course, costs are to be saved and the effectiveness of work processes increased.

That is the theory of the shared desk concept. A – I’ll call it a „trend“ – that has long since left the per se innovative start-ups and is being introduced by traditional large companies just as much as in the banking house of a small town. In practice, however, the concept all too often fails because of one very simple factor: people.

There are certainly advantages to an open-space concept, such as a more relaxed atmosphere with flat hierarchies. And opportunities to move around in different room areas – depending on current needs – such as lounge corners, small meeting niches and common rooms. And of course it saves costs and space resources if some of the employees work independently, even after Corona. A desk does not have to be kept permanently free for everyone in such a constellation.

But here comes the problem. The shared desk concept has been widely introduced in places where employees have to come to the office every day and cannot work independently of location. In systems that worked well for years and where only the top management decided it was time for an innovation. But people cannot be planned on a drawing board and they cannot be standardised. It is not uncommon for employees who have had their fixed desk for years to feel stressed by the all-morning trip to Jerusalem that desk sharing entails. Not knowing where to find a place today unsettles the vast majority of people. And so it seems to slow people down when they have to adjust to a new environment every day. This is far removed from the actual goal of increasing productivity and satisfaction.

Common sense tells us that packing everything that makes up an individual personality and makes the work environment familiar every day is like saying goodbye all over again: Photos of the family, a holiday memory, a plant, one’s own pens, the allergy spray in the drawer and perhaps a small box of chocolates for the coffee break and a self-painted picture of the children – all this gives security and safety, which humans need from their basic structure (at least the vast majority). Those who are deprived of this without consent will feel a lack of appreciation: I am not worthy of being allowed to „take up space“ by my employer. That I leave a piece of my personality in the company, become visible. I am neutralised again every day and become just a small cog that is supposed to function and keep the machinery running.

In addition to the impersonal working environment, the work organisation of the shared desk principle is not suitable for everyone: some people blossom when they sit in the office with several others and only develop their potential in community. They love interaction and liveliness. Others, however, need exactly the opposite and can only work well in peace and quiet and without distraction.

Of course, such concepts always appear innovative and visionary to the outside world. The shared desk concept fits in with other trends, such as New Work or Design Thinking. But fancy design furniture and the ping-pong table are merely a make-up under which it is not visible whether the idea is also lived and loved underneath. Has a nice-sounding concept been put on here so that the marketing department and the controlling department are happy about new fodder? Or was it developed together with the employees and is it supported by everyone?

This makes the difference between such concepts working or failing. Because only those who involve those who will subsequently use these concepts and take into account the diversity of people have a good chance of success. Involvement requires more than just filling out questionnaires. It means entering into dialogue with each other. Listening and respecting what employees have to say. This is only possible if management approaches such a process with an open mind and has the strength to turn back the rudder if it does not work.

Employers who want to realise the full potential of their employees and are interested in their well-being should put individuality at the forefront of office planning and design spaces that are flexible enough for everyone to feel seen and found.

Fotos: Annie Spratt & Green Chameleon / Unsplash